Auch wenn wir unsere Hoffnung nicht in Wahlen und schon gar nicht in Kandidaten setzen, die sich auf Massenmörder wie Atatürk und Rassismus im Wahlkampf berufen, war diese Wahl in der Türkei eine Schicksalwahl. Rechtsextremismus und Islamismus, Diktatur und Ausbeutung, Autoritarismus und Repression, Patriarchat und Antifeminismus konnten sich an der Macht halten.
Die Reaktionen auf den Wahlausgang auf den Straßen Wiens ist erschreckend. Hunderte Rechtsextreme sammelten sich am Reumanplatz in Favoriten und zeigten den Gruß der faschistischen “Grauen Wölfe”. Ein ähnliches Bild zeigte sich auch in vielen anderen Städten, vor allem in Deutschland.
Die türkische Diaspora wählt nicht nur extrem rechts, sondern ihre Stimmen waren entscheidend für den Wahlausgang in der Türkei. Hier zeigt sich ein blinder Fleck der radikalen Linken in Europa, denn diese politische Bewegung konstituiert sich hier seit Jahrzehnten direkt vor unseren Augen, und hier hätten sie von Anbeginn an benannt und bekämpft werden müssen.
Kurd*innen, Linke und andere Minderheiten, die aus der Türkei geflohen sind, weil sie sich hier ein besseres Leben erhofften, finden sich umgeben und bedroht von Faschist*innen wieder, die auch hier ihr Leben bedrohen. Eine Linke, die das nicht als Teil ihres antifaschistischen Kampfes begreift, reproduziert nur den rassistischen, externalisierenden Blick auf diese rechtsextreme Bewegung als etwas „Fremdes“, das woanders zu lösen und zu bekämpfen sei.
Braucht es erst wieder Angriffe auf linke Strukturen wie auf das EKH im Jahr 2020, bis die türkische Rechte als ernsthafte Bedrohung wahrgenommen wird? Auch damals hielt die Auseinandersetzung damit nur einige Monate an. Danach wurde sich wieder vordergründig mit der „deutschen“ Rechten beschäftigt. Diese Kulturalisierung der soziale Frage und Externalisierung politischer Konflikte muss ein Ende nehmen.
Faschist*innen, egal woher sie kommen, sind die Feinde der Emanzipation und Befreiung, eine Bedrohung für alle Menschen, die ihnen als Feindbild dienen. Besonders zeigt sich das dort, wo sie an der Macht sind. Kurdische Menschen, Minderheiten, Linke, Queers, Jüdinnen und Juden spüren dieses Erstarken der Rechten auch hier jeden Tag. In Türkei werden sie ermordet oder sitzen hinter Gefängnisgittern, sind ständiger Repression und politischer Verfolgung konfrontiert oder mit alltäglichen Anfeindungen und Angriffen auf den Straßen. Und auch hier in Wien bilden türkische Faschist*innen die größte rechtsextreme Bewegung. Es ist an der Zeit genau das zu erkennen und diesen Umstand als antifaschistischen Handlungsauftrag zu begreifen!
Jede Solidarität ist unvollständig, wenn sie nur bei Lippenbekenntnissen bleibt. Wenn die Linke aus Taubheit oder gar aus falscher Toleranz sich dieser Problemstellung nicht annimmt, verrät sie alle Grundsätze linksradikaler und antifaschistischer Gesellschaftskritik.
Denn die Menschen sind unter den gegenwärtigen Bedingungen des Kapitalismus eben nicht nur „geknechtete und erniedrigte Wesen“ (Marx), sondern durch die Zurichtung der Zwänge von Staat und Kapital auch verkümmerte und verächtliche Wesen. Aber auch wenn es an unserer strukturellen Zwängen kapitalistischer Vergesellschaftung liegt, die diese reaktionären Bewusstseinsformen hervorbringen, sind alle Menschen als politische Subjekte ernstzunehmen.
Und das heißt, die türkische Rechte als Gegner*innen und Totfeinde zu betrachten, sobald sie als eine politische Bewegung auftreten, die nicht nur jeder menschlichen Emanzipation im Weg steht, sondern deren Ideologie in letzter Konsequenz Gewalt, Herrschaft und Totschlag für Minderheiten, Linke, Queers, Frauen und Andersdenkende bedeuten.
Ja, wir leben in einer durch rassistische Herrschaftsverhältnisse bestimmten Gesellschaft, die unser Bewusstsein auch hier in Österreich prägt. Daraus ergibt sich aber nicht, dass die Betroffenen rassistischer Ausgrenzung automatisch emanzipatorische Ideen vertreten. Selbst erlebte Diskriminierung entschuldigt und erklärt nicht die eigenen reaktionären Positionen.
Kurd*innen sind beispielsweise mit einer doppelten Struktur rassistischer Diskriminierung konfrontiert: mit dem rassistischen österreichischen Staat und seiner nicht minder rassistischen Mehrheitsgesellschaft, wie auch mit dem Rassismus türkischer Faschist*innen – mit teils tödlichen Konsequenzen. Beispielsweise wurden gestern in Stuttgart zwei Menschen, die sich den Erdoğan-Fans entgegen stellten, bei einem Messerangriff lebensgefährlich verletzt.
In Solidarität mit den prospektiven Opfern jeder reaktionären Ideologie, gilt es den Kampf dagegen aufzunehmen. Es gilt aber auch diese reaktionäre Ideologie als die Feinde der befreiten Gesellschaft und damit auch als als Gefahr für alle emanzipatorischen Kräfte zu betrachten, auch unabhängig von kultureller Zuschreibung.
Unsere Hoffnung liegt weiterhin in den emanzipatorischen Kämpfen, wie sie in Rojava und in vielen Orten Kurdistans stattfinden. In Rojava findet genau dieser antifaschistische Kampf statt, verbunden mit einer sozialrevolutionären Perspektive. Wer sich die Solidarität mit der kurdische. Freiheitsbewegung auf die Fahnen heftet, sollte also anfangen, die Feinde der Emanzipation überall dort zu bekämpfen, wo es unser Handlungsspielraum zulässt. Solidarität ist keine Praxis entfernter Sehnsüchte, sondern muss in unseren alltäglichen Kämpfen im hier und jetzt Einzug erhalten.
Mit der Hoffnung im Herzen, dass wir diesen Kampf überflüssig machen, weil wir eines Tages die gesellschaftlichen Verhältnisse abschaffen, die solche Ideologien erst hervorbringen.
In diesem Sinne: Faschistische Strukturen zerschlagen! In Wien, der Türkei und überall! Für die soziale Revolution!
Berxwedan jiyan e – Widerstand ist Leben – In Rojava sowie auch hier!