Liebe Bewohner*innen der Pecado-Eigentümer,
liebe Anrainer*innen,
Liebe Mitstreiter*innen,
wir sind heute Nachmittag hier aus gutem Grund versammelt. Die Immobilienfirma Pecado schikaniert gemeinsam mit ihrer Schein-Hausverwaltung Omega die Mieter*innen am Gaudenzdorfer Gürtel 41 und in vielen weiteren Häusern in der Stadt. Wir haben bereits gehört, mit welchen menschenverachtenden Maßnahmen dieses Firmenkonstrukt vorgeht und welchen abscheulichen Rassimus die Bewohner*innen erleben mussten, an dem sich auch die Stadt Wien und etwaige Presseorgane beteiligt haben. All dies lässt sich jedoch weder auf traurige Einzelfälle auf einem ansonsten wunderbar funktionierenden Wohnungsmarkt, noch auf einige wenige boshafte Strippenzieher*innen im Hintergrund beschränken. Vielmehr handelt es sich bei den verachtenswerten Machenschaften seitens Pecado und Omega um Symptome der Profitmaximierung im Kapitalismus.
Schon vor 150 Jahren beschrieb Friedrich Engels viele der Probleme der kapitalistischen Wohnungsfrage, mit denen wir noch heute zu kämpfen haben. Dazu gehören Segregation und Gentrifizierung, Homogenisierung von Stadtteilen, Ausschluss ganzer Gruppen von städtischer Teilhabe – begleitet von in schlimmster Konsequenz Verarmung, Krankheit und Tod. Hinzu kommt, dass wir es mit einem seit Jahrzenten gesättigten Anlagemarkt zu tun haben, dessen Investor*innen nur noch einige wenige Möglichkeiten der Profitmaximierung bleiben. Besonders attraktiv für sie ist dabei die Spekulation mit Immobilien. Im Jahr 2021 hat sich in Wien beispielsweise die Anzahl an an Investor*innen verkauften Neubauten im Vergleich zum Vorjahr nahezu verdreifacht. Spekuliert wird hier mit unser aller Dächern über den Köpfen, was nicht nur moralisch verwerflich, sondern auch extrem gefährlich ist. Denn: »Boden ist keine Ware im üblichen Sinne. Er ist eine fiktive Form des Kapitals, die sich aus den Erwartungen auf zukünftige Miet[einahmen] ableitet«. Im Lokalen sorgt dies unter anderem für Mieterhöhungen, um die Rendite der Investor*innen zu bedienen – globale Ausmaße konnten wir anhand der Finanzkrise 2007/2008 miterleben, die unter anderem Folge eines aufgeblähten Immobilienmarktes war und deren Auswirkungen uns noch heute beschäftigen. Frei nach Marx: Alles Ständische und Stehende verdampft und nun haben wir mit der Finanzialisierung des Wohnungsmarktes ein weiteres Problem kapitalistischen Ausmaßes an der Backe.
Wir als Gruppe konnten uns vor kurzem während eines Besuches in Athen selbst davon überzeugen, wie der neoliberale Kahlschlag notfalls auch mit äußerster staatlicher Gewalt durchgeprügelt wird. Doch nicht nur dort, im Zentrum der globalen Krise, die seit mehr als 15 Jahren andauert, sondern auch hier in Wien gilt: längst sind nicht mehr nur noch Menschen unterhalb der Armutsgrenze von Mietpreiserhöhungen bedroht. Laut mietmonitor liegt die »leistbare Wohnfläche für 1-Personenhaushalte in 10 von 23 Bezirken, sowie im wienweiten Durchschnitt, bei unter 29 m2. Die Bauordnung untersagt, dass es so kleine Wohnungen überhaupt geben darf, um Überbelag und beengte Wohnverhältnisse zu verhindern.« Teil dieser Problematik ist auch der enorme Leerstand in der Stadt, welche ebenso auf die Spekulation mit Wohnraum zurückzuführen ist. Dieser beläuft sich auf 30.000 bis 100.000 Wohnungen allein in Wien. In einem großen Wohnhaus in der Columbusgasse in Favoriten, welches Pecado gehört und von Omega verwaltet wird, konnten wir uns unlängst selbst ein Bild davon machen. Von über 20 Wohnungen sind nurmehr drei bewohnt. Die Bewohner*innen leben seit über zwei Jahren in einer Art Bauruine, in deren Stiegenhaus nicht einmal mehr Fenster vorhanden sind. Nicht nur ist es dort eiskalt in den Gängen, auch die vielen leerstehenden Wohnungen erzeugen eine unheimliche Stimmung für die hinterbliebenen Mieter*innen: eine weitere Taktik seitens Pecado und Omega, um sich dieser zu entledigen.
»Soviel aber ist sicher, daß schon jetzt in den großen Städten hinreichend Wohngebäude vorhanden sind, um bei rationeller Benutzung derselben jeder wirklichen ›Wohnungsnot‹ sofort abzuhelfen.«, beschreibt Engels vor 150 Jahren die Situation in den industriellen Großstädten. Parallel plädieren Politiker*innen heute noch dafür, Wohnungsmangel und hohe Mietpreise ließen sich am besten mit einer umfassenden Bauoffensive bekämpfen, beweisen damit jedoch nur, dass sie die Mechanismen des Marktes nicht verstehen oder sie bewusst ignorieren. Dass das Kapital kein Interesse daran hegt, die Wohnungsnot abzuschaffen, liegt in der Logik des Systems. Nur durch Konkurrenz auf dem Wohnungsmarkt, der entsprechend künstlich knapp gehalten wird, ist es dem Kapital schließlich möglich, seine Profite durch Mietpreiserhöhungen zu maximieren. Das Resultat ist, dass immer mehr Mieter*innen vom Mittelpunkt der Städte an den Umkreis gedrängt werden.
Die sozio-ökonomische Ungleichheit wird durch die Wohnungsfrage im Kapitalismus nicht bloß manifestiert, sie wird sogar weiter befeuert. Wohnen dient als Umverteilungsmechanismus von unten nach oben, »[w]eil der Besitz an Immobilien ungleich verteilt ist und einigen wenigen das Recht auf regelmäßige Einnahme von Mietzahlungen von vielen gibt […]« Im Zuge der derzeitigen Teuerungswellen in all unseren täglichen Bereichen, besitzt der Österreichische Haus- und Grunbesitzerbund auch noch die Dreistigkeit in ihrer jüngsten Pressemitteilung zu schreiben: »Die Inflation trifft nicht nur MieterInnen, sie trifft uns alle. Gestiegen sind die Preise in allen Segmenten. Im Übrigen ist der Baupreisindex, der für die Preisentwicklung im Baubereich verantwortlich ist, um vieles höher gestiegen als der Verbraucherpreisindex.« Das ist reinster Klassenkampf von oben.
Ein weiteres Beispiel hierfür liefert die geplante Erhöhung der Richtwertmieten um 8,6 Prozent ab April in Österreich. Das betrifft rund 300.000 Haushalte, hauptsächlich Bewohner*innen privater Altbauwohnungen, aber auch Gemeindewohnungen. Möglich macht dies das Mietrechtsgesetz, um Mieten der Inflation anzupassen. Doch diese höheren Mieten treiben wiederum die allgemeine Teuerung an, die Indexanpassung ist also eine Preisspirale nach oben. Dies zeigt uns aufs Neue, wie verzahnt Staat und Kapital sind und dass Appelle an diesen bürgerlichen Staat nur von geringer Bedeutung sein können. Ökonomische Gesetzmäßigkeiten lassen sich nicht oder nur marginal durch juristische Mittel einhegen, solange diese Teil des Systems sind. Es muss also darum gehen, sich nicht auf eine Zähmung des Kapitalismus zu verlassen – Mietpreisbremsen und Mietendeckel fordern ohnehin schon Teile der reformistischen Linke – wenn wir die gerechte Stadt für alle einfordern. Um noch einmal Engels zu zitieren: »Diese Wohnungsnot ist nicht etwas der Gegenwart Eigentümliches; […] im Gegenteil, sie hat alle unterdrückten Klassen aller Zeiten ziemlich gleichmäßig betroffen.« »In einer solchen Gesellschaft ist die Wohnungsnot kein Zufall, sie ist eine notwendige Institution, sie kann mitsamt ihren Rückwirkungen auf die Gesundheit usw. nur beseitigt werden, wenn die ganze Gesellschaftsordnung, der sie entspringt, von Grund aus umgewälzt wird.«
All dies zeigt: Wir müssen jetzt damit anfangen, uns zu organisieren und die Kämpfe am Wohnungsmarkt gemeinsam zu führen, denn diese sind auch immer Kämpfe gegen den Kapitalismus. Dem Immobilienkapital den Kampf ansagen, bedeutet den Kapitalismus als Ganzes auf den Haufen der Geschichte zu verbannen. Denn allein eine bessere Verwaltung des Kapitalismus, wie sie Reformist*innen anstreben, kann aufgrund der inhärenten Mechanismen des Kapitalismus nicht funktionieren. Die Moralisierung kann dabei ein Stilmittel des Kampfes sein, Pecado und Omega sind das niederträchtige Firmenkonstrukt, für das wir sie halten, nie aber darf sie die Analyse bestimmen.
Ja, wir benötigen ein Verständnis von der Wohnungsfrage im Kapitalismus, aber noch viel wichtiger, die revolutionäre Organisierung von unten. Unsere Besuche bei internationalen Genoss*innen und ihre Berichte von ihren Kämpfen verdeutlichten uns nochmals, wie eng Staat und Kapital besonders in der Wohnungsfrage zusammenarbeiten, sie zeigten uns aber auch, wie viel mit Solidarität und lokaler wie transnationaler Zusammenarbeit möglich ist. Wir alle sind von der Verdrängung, von den Teuerungen in allen lebensnotwendigen Bereichen betroffen. Das Immobilienkapital führt hier und jetzt diese Häuserkampfe, den Kampf um die Stadt. Es liegt an uns, diesen anzunehmen. In diesem Sinne: Mieter*innen aller Grätzl vereinigt euch! Immo-Firmen stressen! Keine Rendite mit der Miete! Zwangsräumungen verhindern!