Ein Beitrag der Genoss*innen von AG Feministischer Streik aus ihrer neuen Broschüre:
“Wir, die AG Feministischer Streik, sprechen heute als Unterstützer:innen der IG-24, der selbstorganisierten Interessensvertretung der rumänisch- und slowakischsprachigen 24h-Betreuer:innen in Österreich. Diese Betreuer:innen, in den allermeisten Fällen Frauen, arbeiten zumeist in Scheinselbstständigkeit als Ein-Personen-Unternehmen in Österreich. Das bedeutet, dass ihnen Arbeitsschutzgesetze, sowie Interessensvertretung durch Institutionen wie Gewerkschaften oder Arbeiterkammer verwehrt bleiben. Unsere Zusammenarbeit entstand vor ungefähr einem Jahr, als wir eine Vortragsreihe zum Feministischen Streik für den 8. März 2020 organisierten. Seitdem haben wir viel über die elendigen Arbeitsbedingungen der vergeschlechtlichten und migrantisierten Arbeit in der 24h-Betreuung und den Kampf, den sie dagegen führen, erfahren.Sie sind beispielsweise gezwungen, Verträge mit Vermittlungsagenturen abzuschließen, die in den meisten Fällen nicht in ihrer Erstsprache verfasst sind, um überhaupt ihre Arbeit verrichten zu können. Diese Verträge umgehen so ziemlich jede arbeitsrechtliche Errungenschaft, die mühsam erkämpft wurde. Bezahlter Urlaub, sozialversicherungsrechtliche Absicherung, angemessene Pensionsansprüche, nichts davon existiert in der Arbeitsrealität der 24h Betreuer:innen. Zudem sehen sich die Betreuer:innen mit rassistischen Gesetzgebungen konfrontiert, wie beispielsweise der Indexierung der Familienbeihilfe, die für Drittstaatsangehörige die Familienbeihilfe an den je nationalen Kontext vermeintlich angepasst, im Falle von Rumänien um die Hälfte kürzt, und so die Versorgung der Familien der Betreuer:innen extrem erschwert. Mit der Pandemie haben sich diese Zustände auch für die Betreuer:innen massiv verschärft, von Isolation kann bei ihnen nur bedingt die Rede sein. Der Ort ihrer Isolation ist der Arbeitsplatz, nicht ihr Zuhause. Home-Office war keine Option und eine Verweigerung der potenziell gesundheitsgefährdenden Arbeit geht mit absolutem Einkommensverlust einher. Wie wichtig die Arbeit der 24h Betreuer:innen, wie auch der meisten in der Krise als “systemrelevant” bezeichneten Arbeiter:innen, aber gesellschaftlich ist, hat
sich nicht zuletzt daran gezeigt, welches Spektakel der österreichische Staat im ersten Lockdown aufgezogen hat, um die Betreuung sicherzustellen. In eigens gecharterten Nachtzügen und Flugzeugen, selbstverständlich ohne Möglichkeit zum physical distancing, wurden Betreuer:innen zu Hunderten an den Wiener Flughafen gebracht, in einem Flughafenhotel quarantäniert und getestet um den Dienst antreten zu können. Die Zeit, bis sie ihren Dienst antreten konnten, mussten sie unbezahlt im Flughafenhotel absitzen. Bis heute gibt es keine Garantie auf regelmäßige, bezahlte Corona-Tests, die absolut unabdingbar für den Selbstschutz, als auch für den Schutz der Klient:innen wären. Gegen solche Umstände müssen die Betreuer:innen zusätzlich zu ihrer Forderung zur Abschaffung der Scheinselbstständigkeit kämpfen. Trotz des Wissens, dass soziale Reproduktion und insbesondere Pflege in einer kapitalistischen Gesellschaft notwendigerweise permanent abgewertet wird, ist dieser unmenschliche Umgang, als bloßer Import einer billigen Ware Arbeitskraft, besonders perfide. Wenn wir uns diese Arbeitsrealität vor Augen führen, ist es wenig überraschend, warum wir hier heute als Unterstützer:innen sprechen und nicht die Betreuer:innen selbst. Es ist extrem wichtig, dass wir heute auf der Straße sind, den Verschwörungstheoretiker:innen den Kampf ansagen und für eine befreite, solidarische Gesellschaft eintreten. Heute trifft sich dagegen diese widerlich braune Suppe aus Corona-Leugner:innen, Verschwörungstheoretiker:innen, Impfgegner:innen und bekannten Rechtsextremen. Sie stehen uns nicht nur im Weg beim Aufbau einer solidarischen Gesellschaft, ihre Ideologie der Ungleichheit stellt vielmehr den diametralen Gegensatz zu Solidarität dar. Der kollektive Haufen Irrationalität der sich dort rumtreibt, kann nie Ziel unserer, einer feministischen, antirassistischen, antifaschistischen und solidarischen Politik sein. Wir sind der Überzeugung, dass das ganze Elend nur abgeschafft werden kann, wenn wir eine radikal andere Gesellschaft aufbauen. Wir wissen aber auch, dass die Sehnsucht danach nicht von selbst entsteht. Wir brauchen kollektive solidarische Erfahrungen, in denen die Vorstellungen einer solidarischen Gesellschaft erst erfahrbar und begehrbar gemacht werden können. Ohne diese Erfahrungen brauchen wir nicht von der solidarischen Gesellschaft sprechen.
Als Raum für solche Erfahrungen verstehen wir den Feministischen Streik. Er beinhaltet nicht nur die kollektive Arbeitsverweigerung aller fremdbestimmter Arbeit, sondern auch die bewusste Umorganisierung jener Arbeit, die notwendig ist für ein gutes Leben für alle. Der Feministische Streik kann also in der Ablehnung des Elends Keimformen des guten Lebens erfahrbar machen. Wir schöpfen dabei unter anderem Mut und Kraft aus der globalen Feministischen Streikbewegung. Ob in Lateinamerika, in Spanien oder in Polen. Wenn sich Feminist:innen über ihre Erfahrungen austauschen, und strukturelle Gemeinsamkeiten erkennen, und sich auch für ihre gemeinsamen Interessen organisieren, sind sie tatsächlich in der Lage, Herrschaft radikal in Frage zu stellen. Herrschaft radikal in Frage zu stellen, bedeutet dabei nicht, uns nach einer vermeintlichen Prä-Corona-Normalität zurück zu sehnen und uns den staatlichen Maßnahmen gehörig zu unterwerfen, denn auch da war ohnehin schon vieles beschissen. Auch wenn wir alle diese Sehnsucht nur zu gut kennen, wir wollen kein Zurück, denn in dieser Normalität war schon alles angelegt, was uns jetzt aufs Äußerste zu schaffen macht. Wir wollen gemeinsam Perspektiven auf ein Darüberhinaus entwickeln. Die Situation der 24h-Betreuer:innen allgemein, und während Corona insbesondere, zeigt zugespitzt die fortwährende Abwertung bestimmter (meist weiblicher, und meist migrantischer) Menschen als Arbeitskräfte in dieser kapitalistischen Gesellschaft. Als linksradikale Feminist:innen müssen wir Erfahrungen von Ausbeutung, gesellschaftlicher Ausgrenzung, patriarchaler Gewalt, Vereinzelung und Entfremdung emanzipatorische Erfahrungen entgegensetzen und das aktuell Undenkbare denkbar und begehrenswert machen. Deshalb sagen wir: auf zum Feministischen Streik. Gegen Patriarchat, Kapital, Rassismus, Antisemitismus und Verschwörungsmythen und für die solidarische Gesellschaft.”